Wie können wir komplexe Veränderungsprozesse gut begleiten?Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Change und Transformation? Das erfährst du in diesem Artikel.
Warum dieses Thema wichtig ist? Weil ich in Organisationen oft erlebe, dass wir da einiges durcheinander werfen und weil ich mir wünsche, dass wir Transformation mehr leben, oder besser gesagt spüren. Es ist gerade jetzt unheimlich wichtig, über Transformation zu sprechen.
Über die Bedeutung der Begriffe Change und Transformation
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen kompliziert und komplex?
Im beruflichen Alltag sprechen wir über Change, Veränderung und Transformation und unterscheiden das oft nicht wirklich. Dies ist aber wichtig, damit wir “richtig” vorgehen können. Oft erlebe ich eine Verwunderung, dass das groß angelegte Change-Projekt im Unternehmen nicht funktioniert. Dabei kann es tatsächlich daran liegen, dass dieses Projekt eigentlich eine Transformation gebraucht hätte – und dafür wäre ein anderes Vorgehen nötig. Deswegen ist es so wichtig, die richtigen Begriffe zu nutzen und deren Bedeutung zu verstehen.
Wir starten mal mit einigen Fragen: Ist eine Software für die Personalverwaltung (z.B. Arbeitszeiten, Reisekostenabrechnung, Onboarding) kompliziert oder komplex?
Beantworte das gerne für dich.
Zur nächsten Frage: Ist die Einführung einer solchen Software in einer Organisation kompliziert oder komplex?
Vermutlich merken die meisten jetzt, dass wir uns bisher gar nicht so genau bewusst gemacht haben, was diese Begriffe bedeuten.
Die Software an sich ist kompliziert. Es ist ein kompliziertes System, das auf einem Ursache-Wirkung-Denken basiert. Obwohl es vermutlich viele verschiedene Aspekte gibt, die voneinander abhängig sind, kann man die Dinge vorhersagen: „Wenn das passiert, tritt das ein.“ Es gibt also eine klare Lösung für Probleme und das System kann kontrolliert werden. Das heißt allerdings nicht, dass es einfach sein muss. Im Gegenteil, es braucht vermutlich Expert:innenwissen und ausreichend Erfahrung.
Wie sieht es aber mit der Einführung aus? Die ist komplex.
In komplexen System kommen wir mit einem Ursache-Wirkungs-Denken nicht weiter. Alles ist miteinander vernetzt und wenn A passiert, kann B folgen, muss es aber nicht. Zudem können noch viele andere Punkte C,D,E, … eintreten. Wir können vielleicht Annahmen treffen, was passieren könnte, aber wir können uns nicht mehr sicher sein. Es ist nicht vorhersagbar und vor allem auch nicht kontrollierbar. Hier sehen wir oft auch den Butterfly Effekt, manchmal kann ein kleiner Impuls Großes bewirken.
In komplexen Systemen sind nicht die einzelnen Elemente entscheidend, viel wichtiger sind die Beziehungen und Interaktionen.
Hierzu habe ich vor kurzem ein schönes Zitat in dem Buch „Wir können auch anders“ von Maja Göpel gelesen:
“In komplexen Systemen sind Beziehungen der Schlüssel. Verbindungen oder Beziehungen bestimmen, wie komplexe Systeme funktionieren; eine Organisation besteht aus ihren Beziehungen und nicht aus ihrem Flussdiagramm. Und diese Erkenntnis ist entscheidend für das Verständnis, wie sich komplexe Systeme von einfachen oder komplizierten Systemen unterscheiden.”
Frances Westley, Brenda Zimmermann, Michael Quinn Patton
Was ist nun Change und was ist Transformation? Und was heißt das für Führungskräfte und Verantwortungsträger:innen?
Für komplexe Probleme braucht es andere Herangehensweisen, andere Perspektiven und andere Lösungen. Das geregelte, klassische Projektmanagement ist gut, funktioniert aber nur in manchen Fällen. In komplexen Situationen braucht es etwas anderes – dann sind wir nämlich nicht im Change, sondern in der Transformation.
An dieser Stelle möchte ich euch gern ein Modell an die Hand geben, um noch besser zu verstehen, was es eigentlich bedeutet, ob etwas komplex oder kompliziert ist: Das “Cynefin” Modell. Das ist walisisch und bedeutet wörtlich “Lebensraum”.
Bei diesem Modell kommen noch zwei weitere Begriffe hinzu: einfach und chaotisch.
Das Modell wurde vom ehemaligen IBM Mitarbeiter und Berater Dave Snowden entwickelt und besteht aus fünf Feldern.

Die fünf Felder des Cynefin-Modells
(1) einfach:
Bei einfachen Sachverhalten gibt es einen offensichtlichen Ursache-Wirkungszusammenhang. Hier hilft uns die Vorgehensweise “erkennen-beurteilen-reagieren” weiter. Zudem gibt es eine richtige Antwort und wir können auf Best Practice Beispiele zurückgreifen. Ein Beispiel sind hierfür Checklisten für einen bereits existierenden Prozess, z.B. die Reisekostenabrechnung.
(2) kompliziert:
Auch hier gibt es einen Zusammenhang zwischen Ursache-Wirkung, meist braucht es aber eine genaue Analyse und vor allem Expertenwissen. Neben wir nochmal das Beispiel mit der Reisekostenabrechnung. Hierfür gibt es vielleicht eine Software. Wenn hier ein Fehler entsteht, können wir den meist selbst nicht lösen, dafür brauchen wir Expter:innen, die analysieren, einen Plan aufstellen und mögliche Risiken berücksichtigen. In diesem Fall ist das Vorgehen “Wahrnehmen – Analysieren-Reagieren” wichtig.
(3) komplex
Hier gibt es nicht mehr das Ursache-Wirkungsdenken. Stattdessen haben wir viele Einflussfaktoren, die miteinander vernetzt sind, wodurch Rückkopplungseffekte entstehen. Bei komplexen Problemen gibt auch nicht mehr DIE eine richtige Antwort, daher braucht es ein Experimentieren, Wahrnehmen, vor allem von Lessons Learned und Veränderungen, und ein entsprechendes Reagieren und Anpassen. Wir arbeiten also mit Hypothesen, probieren aus, reflektieren, erkennen Muster und passen an. Ab jetzt braucht es vor allem Agilität. Kommen wir nochmal auf das Beispiel zurück: Die Einführung des Programms ist komplex. Während des Prozesses lernen wir, welche Szenarien vielleicht noch nicht bedacht worden sind, wo es noch Lücken gibt, wo es vielleicht aber auch Widerstand gibt. Hier sind wir in der Transformation angekommen. Hier bringt uns kein klassisches Projektmanagement mehr weiter, kein fest geplanter Roll-out Prozess – aber tatsächlich sehe ich genau das sehr häufig in Organisationen.
(4) chaotisch:
In diesem Fall haben wir eine hohe Turbulenz, oft auch einen Notfall. Demnach haben wir keine Zeit, erst einmal auszuprobieren, wie bei den komplexen Situationen. Ein gutes Beispiel war hier die Anfangszeit von Corona. Damals bestand das Ziel zunächst dahin, zu stabilisieren. Hierfür braucht es schnelles und entschlossenes Handeln, um dann gemeinsam weiterzudenken. Vorausgesetzt man ist in der komplexen Situation angekommen.
(5) Störung:
Eine Störung entsteht, wenn die Situation mit dem Handeln nicht zusammenpasst oder wenn man noch nicht weiß, welche Kategorie zutrifft. Für unser Beispiel mit dem Reisekostenabrechnung würde dies bedeutet: Der neue Reisekostenprozess wird analysiert, entwickelt und geplant und dann nach Plan eingeführt. Nun treffen die Planer:innen aber auf ein Umfeld, was sich widersetzt – der Plan ist perfekt für etwas Kompliziertes, die Organisation ist aber komplex. Es entsteht eine Störung im Veränderungsprozess.
Was heißt das jetzt für Führung und Veränderungsprozesse?
- Wir müssen uns bewusst machen, ob wir uns in komplizierten oder komplexen Situationen befinden.
- Wenn wir die Situation (er)kennen, müssen wir wissen, wie wir vorgehen.
- Reflektiere für dich in der Situation immer: Welche Arbeitsstruktur braucht es, welche Rahmenbedingungen und welche Regeln?
- In Transformationsprozessen braucht es vor allem auch ein neues Verständnis von Führung – nicht mehr Kontrolle und Ansage, sondern vor allem New Leadership (dazu kannst du in Folge 5 meines Leadership-to-go-Podcasts mehr hören)
- Für die komplexen Situationen brauchen wir Resilienz und einen guten Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit. Dafür sind vor allem das Spüren, Wahrnehmen und Kommunizieren wichtig.Hierzu kannst du mehr in diesem Blogartikel lesen.
- Agilität ist nicht immer die Lösung: Wir haben auch komplizierte oder einfache Probleme, für die es nicht immer einen Expert:innenrat oder iterative Schleifen benötigt. Manchmal ist auch klassisches Projektmangement hilfreich.
In Folge 32 meines Leadership-to-go-Podcasts erkläre ich das “Cynefin” Modell noch ausführlicher und ihr erfahrt mehr zu dem Thema Change vs. Transformation (mit Beispielen aus dem Alltag.
Du möchtest noch mehr erfahren?
Ich hoffe, dass ich dir damit ein bisschen mehr Klarheit bezüglich Veränderungsprozessen, Change und Transformation mitgeben konnte. Wenn du noch tiefer eintauchen möchtet, dann lass uns gemeinsam spielen. Spielen? Genau. Im letzten Modul des Leadership-Programms durften die Teilnehmer:innen diese Theorie nämlich mit Lego erleben. Uns ist es sehr wichtig, Erfahrungen machen zu lassen.
Wenn ich dich jetzt also neugierig gemacht habe und du als Verantwortungsträger:in wachsen und dich und andere stärken möchtet, dann melde dich jetzt für das Leadership Programm an. Über 8 Monate begleiten wir die Teilnehmer:innen sehr intensiv, so dass sie in ihrer Führungsrolle wachsen und vor allem wirken können. Wir schauen uns die Themen Selbstführung, New Work, Teamführung und Transformation an. Es ist auf jeden Fall inspirierend und innovativ.
Wenn auch du gerade einen neuen Entwicklungsraum suchst, dann informiere dich gern über unser Programm, das im Juli 2023 mit dem nächsten Kurs startet. Buche gern schon jetzt ein kostenloses Erstgespräch.
Foto: Nataliya Vaitkevich