1. April 2021

New Work meets Schule. – Veränderung jetzt.

NEW WORK – was bedeutet das eigentlich?

 

In der Wirtschaftswelt kursiert das Wort “New Work” seit ein paar Jahren – es gibt unzählige Artikel, Bücher und Podcasts. Es wird von Unternehmen mit gemeinsamen Standup-Meetings, After-Work-Drinks auf der Dachterrasse und flexiblen Arbeitszeitmodellen gesprochen – ist das aber New Work?

Tatsächlich geht der Begriff auf Frithjof Bergmann zurück, der schon schon in den 70er Jahren das Konzept der Arbeit hinterfragt hat. Dabei sah er in New Work die Arbeit nicht mehr als Mittel zum Zweck, sondern als sinnstiftende und erfüllende Tätigkeit an. Nicht mehr der Mensch sollte der Arbeit dienen, sondern die Arbeit dem Menschen, um sich zu entwickeln, zu verwirklichen und die eigenen Potentiale zu entfalten.

In den letzten Jahren ist dieser Ansatz prominenter geworden, da sich durch die Globalisierung und Digitalisierung neue Möglichkeiten zeigen, räumliche, zeitliche und organisatorische Strukturen der veralteten Arbeitswelt zu verändern. Es entstehen neue Handlungsräume bei den Arbeits- und Organisationsstrukturen, um veränderten Werten und Bedürfnissen von Arbeitsnehmer:innen gerecht zu werden, z.B. dem Wunsch nach mehr Gestaltungsfreiheit oder nach Teilzeit, um neue Familienmodelle leben zu können.

Demnach darf New Work nicht mit Remote Arbeit, fancy Büroräumen und innovativen Kreativprozessen gleichgesetzt werden. Vielmehr geht es um die tatsächliche Hinterfragung von alten Strukturen und Denkweisen. Entscheidend sind vor allem die Haltung und die Zielsetzung, die hinter den Veränderungen steckt. Geht es um das „höher, schneller, weiter“ oder geht es darum, dem Menschen mehr Raum zu geben.

Deshalb darf dieser Trend in meinen Augen auch nicht “missbraucht” werden, denn es geht dabei nicht darum, mit der Digitalisierung mitzugehen, um noch internationaler zu werden; es geht nicht darum, Hierarchien abzubauen, um schneller entscheiden zu können – das wäre ein Trugschluss. Es sollte vielmehr darum gehen, durch Digitalisierung neue Kommunikations- und Begegnungsräume zu schaffen und durch neue Entscheidungsprozesse, die Partizipation zu ermöglichen, so dass jeder entsprechend seinen Beitrag leisten und seine Selbstwirksamkeit erleben kann.

Ebenso bedeutet New Work nicht nur Spaß und Harmonie im Team – New Work ist auch nicht ein Teamevent nach dem anderen und der Kicker-Wettbewerb in der Lunchpause. – Unternehmen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, wertschätzende Arbeitsumgebungen zu schaffen, wissen das ganz genau, denn es braucht auch förderliche Feedback- und Konfliktkulturen. Und dann ist nicht immer alles nur „happy family“.

 

 

New Work und Schule – wie soll das gehen?

 

In den Medien hören wir immer öfter, dass die Schule die Schüler:innen auf die Welt von morgen besser vorbereiten soll. Schüler:innen müssen andere Kompetenzen erlernen, um die Herausforderungen in der neuen Arbeitswelt meistern zu können. Dazu gehören unter anderem kritisches Denken, Kollaboration, Kreativität und Kommunikation.

So entstehen gerade neue Unterrichtskonzepte, fächerübergreifende Projekte oder Schülerforderprogramme, die genau dieses Ziel verfolgen. Dies ist auch wichtig und gleichzeitig sollten wir uns fragen, wie wir am besten lernen. Meiner Meinung nach beim konkreten Erleben und Vorleben.

Sollten wir daher nicht auch schauen, wie Schule als lernende Organisation – als Arbeitsort für Lehrkräfte und (nicht-)pädagogisches Personal – ebenso New Work leben kann. Damit Schüler:innen nicht erst in der Arbeitswelt dann New Work erleben, sondern bereits in ihrem jetzigen Schulalltag.

Was kann dies aber konkret für Schule bedeuten?

 

 

NEW WORK an Schulen – ganz konkret

 

Um diese Frage ein wenig zu beantworten, können wir erste Impulse aus dem Buch von Frederic Laloux „Reinventing Organisations“ nutzen. Hier erläutert er drei verschiedene Prinzipien.

 

(1) Selbstorganisation und Selbstführung

 

Je komplexer Systeme werden, umso weniger gelingt eine Führung über Hierarchie. Vielmehr sollten nach Ansicht von Laloux die Entscheidungen durch die Personen an den jeweiligen Stellen getroffen werden, die von dem „Problem“ betroffen sind und über die entsprechende Expertise verfügen.

Das heißt, dass man bei dem Konzept von Selbstorganisation dem Menschen vertraut, dass er über die entsprechende Kompetenz und Weitsicht verfügt, dass er gute Entscheidungen treffen kann und gegebenenfalls auch die Personen einbezieht, die dazu beitragen können.

Durch diesen Ansatz wird Macht dezentralisiert, so dass neue Handlungs- und Verantwortungsräume entstehen – durch Vertrauen entsteht Partizipation.

 

Wie kann dies konkret aussehen?

Laloux verweist in seinem Buch auf das niederländische Pflegeunternehmen „Buurtzorg“, welches in unabhängigen Kleinteams strukturiert ist. Jedes Team besteht aus 10-12 Mitarbeiter:innen. Dabei verteilt das Team komplett selbstständig die Aufgaben – von der Pflege, der Einteilung des Wochenenddienstes bis hin zum Kontakt mit dem regionalen Krankenhaus.

Es gibt lediglich ein kleines Unterstützungsteam in der Zentrale, welches vor allem als übergreifende Aufgaben übernimmt und als Beratung agiert.

 

Was könnte das für Schule bedeuten?

Wenn wir uns die Strukturen im Schulsystem anschauen, sind diese noch sehr klassisch: Kultusministerium – regionale Schulaufsichten/Schulämter – Schulen mit Schulleitungen – Schulleitungsteam – Fachleiter – Lehrkräfte. So sieht es ungefähr aus – es variiert natürlich ein wenig von Bundesland zu Bundesland.

Was wäre aber, wenn man den Gedanken von Selbstorganisation in Schule leben würde? Wenn Schulen mehr Entscheidungsbefugnisse und Gestaltungsfreiräume erhalten würden.

Dann würden wir den Gedanken von der „selbstverantwortlichen Schule“, den es seit ungefähr 20 Jahren schon gibt, noch mehr leben und weiterdenken. Bei diesem Gedankenspiel würden Schulen komplett für die Budgetverwaltung, Personaleinstellung und die Schulentwicklung verantwortlich sein. Das Schulamt würde an diese Stelle nur noch als Unterstützung agieren – mehr Vertrauen anstatt Kontrolle.

Und was könnten wir in Schulen direkt erleben?
Die hierarchische Struktur Schulleitung – Schulleitungsteam – Fachleiter – Lehrkräfte wäre aufgelöst. Stattdessen würden sich die Lehrkräfte in Kleinteams, z.B. Jahrgangsteams, selbst organisieren. – Und ja, in manchen Schulen ist dies schon Realität und es zeigen sich durchaus positive Wirkungen.

Was ist, wenn wir dies auch weiterdenken?
Was wäre, wenn die Kleinteams noch mehr Freiheiten bekommen würden? – Wenn wir so richtig losträumen, müsste es gar keinen zentralen Stundenplan mehr geben. Stattdessen würde das Kleinteam für den Jahrgang die Stunden, Fächer und Rhythmisierung wochenweise planen, da das Team die Bedürfnisse der Schüler:innen am besten kennt. Vielleicht gäbe es dann einmal eine Woche ein außerschulisches Projekt für den gesamten Jahrgang und dann wieder abwechselnde Fächer klassenweise. So wäre es auch möglich, phasenweise Belastungen von einzelnen Lehrkräften selbstständig im Team aufzufangen und somit die Selbstfürsorge von Lehrkräfte mehr zu unterstützen.

 

Aber das geht doch nicht einfach so?

Das stimmt. Man darf nicht vergessen, dass äußere Strukturen auch Halt und Klarheit geben. Deshalb ist es sehr wichtig, bei solchen Veränderungsprozessen Regeln und Kompetenzen für die Selbstführung zu etablieren, z.B. klare Feedbackregeln, eine gemeinsame Kommunikationskultur oder auch Praktiken zur Entscheidungsfindung, um ein Chaos zu verhindern.

Das nächste Prinzip bei Laloux ist die Ganzheit. Er meint damit, dass man sich als „ganzer Mensch“ zeigen kann – mit all seinen Stärken, aber auch Schwächen. Man muss sich nicht mehr hinter einer Maske verstecken, sondern darf einfach „sein“.

 

 

(2) Ganzheit – sich als „ganzer“ Mensch zeigen

 

Dies ist in meinen Augen ein sehr wichtiger Punkt in Schule, denn oft haben Lehrkräfte gelernt, eine „professionelle Maske“ zu tragen, sobald sie die Schultreppe betreten – denn die Erwartung von der Gesellschaft, dass eine Lehrkraft immer alles richtig macht, zeigt sich immer noch stark. Eine ausgeprägte Fehler- und Unterstützungskultur zeigt sich leider bisher noch an sehr wenigen Schulen.

 

Aber ist es nicht besser Job und Privates als Lehrkraft zu trennen? Es fällt doch den meisten sowieso schon schwer abzuschalten.

Ja, in dem Job ist es unvermeidlich, dass die Grenze zwischen Job und Privates verschwimmt, denn Klausuren werden oft im eigenen Büro zuhause korrigiert oder Telefonate mit Eltern noch am Abend geführt. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass das tagtägliche Tragen von Masken viel Energie kostet. Der Druck, keine Fehler machen zu dürfen, baut eine Angst vor Verletzbarkeit auf und schafft vor allem Distanz zwischen Menschen. – Eigentlich etwas, was wir in Schule überhaupt nicht wollen.

 

Wie kann diese Ganzheit nun in Schule gefördert werden?

Dies kann zum Beispiel durch Reflexionsräume gefördert werden, in denen Lehrkräfte ihre Herausforderungen offen miteinander teilen und sich gegenseitig unterstützen können. Hier wären zum Beispiel Supervisionsgruppen oder auch kollegiale Hospitationen denkbar – vor allem unter der Haltung „gemeinsam sind wir stark“. Hier können Kolleg:innen gemeinsam in Resonanz kommen, Bedürfnisse spüren und füreinander da sein. In solchen Räumen wird die Wahrnehmung geschärft und eine sichere Umgebung geschaffen, so dass sich jeder zeigen kann.

 

(3) Evolutionärer Sinn – weniger kontrollieren, mehr erspüren

 

Den letzten Aspekt, den Laloux anspricht, ist der Evolutionäre Sinn. Hier geht es vor allem um die Entwicklung der Organisation. Und diese soll nicht kontrolliert und vorhergesagt werden, sondern vielmehr aus dem „Jetzt“ heraus gespürt werden, um aktuellen Entwicklungen auch begegnen zu können. So gibt nicht die Analyse der möglichen Zukunft eine Antwort, sondern die Frage „Welches Handeln fordert unser Sinn von uns?“

„Was wäre, wenn wir nicht länger versuchen würden, die Zukunft zu erzwingen? Was wäre, wenn wir stattdessen einfach mit dem, was sich zeigen will, tanzen?“ (Laloux 2016:111)

Wie soll das funktionieren?

Corona hat es uns sehr gut gezeigt. All die 5-Jahrespläne, die Unternehmen gemacht haben, waren von heute auf morgen wohl überholt. Es geht also nicht mehr darum, langfristige Strategien zu entwickeln, da die Welt viel zu komplex und unvorhersehbar ist. Vielmehr sollten wir den Fokus darauf legen, dass wahrzunehmen, was sich in dem Moment zeigt und was dies genau an Handlung fordert.

Laloux erläutert dies wieder an dem Beispiel von Buurtzorg. Die Teams haben beobachtet, dass die Lebensqualität der Patienten durch Prävention gestärkt werden konnte. Somit entwickelten sie ihr Handlungsfeld weiter, indem sie ein Netzwerk von Unterstützer:innen aufgebaut haben.

Hierfür ist es natürlich notwendig als Organisation gemeinsam, den Sinn zu entdecken und immer wieder zu hinterfragen und sich dadurch leiten zu lassen.

 

Aber Schule bereitet doch auf das Leben vor? Was soll noch kommen?

Im Großen und Ganzen stimmt dies auch – und gleichzeitig ist nicht jede Schule gleich. Jedes Umfeld ist anders, die Herausforderungen sind anders und damit auch die Möglichkeiten. Es wird auch nicht die Blaupause von der „Guten Schule“ geben, umso wichtiger ist es, dass Schulen auf ihre eigene Entdeckungsreise gehen können, um gemeinsam mit Lehrkräften, Mitarbeiter:innen, Eltern und Schüler:innen die eigene Vision zu entwickeln.

So leitet vielleicht eine Schule daraus ein Kooperation mit einem benachbarten Seniorenheim ab und eine andere baut wiederum einen Schulcampus mit anderen Schulformen auf – je nach Gegebenheit, je nachdem, was sie gemeinsam wahrgenommen haben.

 

Die drei Prinzipien und …All diesen Prinzipien liegt ein Fundament zugrunde: die eigene Haltung– aus welcher Haltung heraus wünsche ich mir die Veränderung? All die Praktiken sind wirkungslos, wenn sie nicht auf ein Verständnis des Füreinanders und auf Vertrauen aufbauen. Die Prinzipien dienen nicht per se dem wirtschaftlichen Wachstum, sondern dem Wunsch nach Potentialentfaltung – und dies geschieht vor allem auf Augenhöhe.

 

 

NEW WORK – Schule als Arbeitsort gestalten

 

An dieser Stelle möchte ich auch noch betonen, dass New Work-Schulen nicht von heute auf morgen entstehen können und müssen. Manchmal ist es schon der „kleine Step“, der eine große Wirkung erzielt. Deshalb sollten wir uns überlegen, womit wir schon jetzt mehr Freiheit, wahre Begegnung und Partizipation ermöglichen können.

Vielleicht helfen hierbei auch die folgenden Fragen als Denkimpuls:

  • Wie werden momentan Entscheidungen getroffen und wer wird alles einbezogen?
  • Wie transparent ist die Kommunikation und durch welche Prozesse wird sie gergelt?
  • Wie sehen unsere Meetings raus? Welche Werte werden dadurch sichtbar?
  • Welche Praktiken für Achtsamkeit und Partizipation nutzen wir in Meetings?
  • Wie stark ermöglicht uns unsere Meetingkultur Ideen einzubringen und mitzugestalten?
  • Welche alternativen Formen an Meetings wären vielleicht möglich?
  • Gibt es Räume für Austausch und gemeinsame Reflexion im Schulalltag
  • Wie werden neue Aufgaben und Funktionen verteilt? Wie stark werden dabei Potentiale des Einzelnen berücksichtigt?

 

Wenn Schule zu einem Ort von Potentialentfaltung für die Mitarbeiter:innen werden soll, ist das Erkunden, Ausprobierens und sich Begegnen wichtig. Es braucht daher Zeit und Begleitung, die inneren Kompetenzen aufzubauen und entsprechende Strukturen im außen abzubauen bzw. zu verwandeln, z.B. durch neue Organisationsstrukturen und neue Teamkulturen.

Gerade für den Aufbau einer wertschätzenden Kommunikationskultur kann ich das Buch „New Work needs Inner Work: Ein Handbuch für Unternehmen“ von Joana Breidenbach & Bettina Rollow empfehlen.

 

Und wer noch mehr Impulse zu neuer Führung & New Work erleben, erfahren und diskutieren möchte, den lade ich zu unserem Leadership-Programm „zusammenWachsen“ für angehende und aktive Führungskräfte & Verantwortungsträger:innen aus Unternehmen und Schulen ein. Mehr Informationen zum Aufbau und den Inhalten gibt es hier

Literatur:

Laloux, F. (2016): Reinventing Organizations visuell: Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Verlag Franz Vahlen München.

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